Im monotheistischen Biotop

Konkurrenzkampf zwischen Islam und Christentum ist in Albanien nicht en vogue.
8. 2019
 

In der albanischen Museumsstadt Berat gibt es eine Zitadelle aus osmanischer Zeit, die bis heute bewohnt ist. Verstreut im Areal sind auch zahlreiche Kirchen, die sich oft kaum von Wohnhäusern unterscheiden, denn die muslimischen Herrscher ließen die Errichtung christlicher Gotteshäuser nur unter der Bedingung zu, dass sie keine Kirchtürme haben durften. Einige Kirchen innerhalb der Zitadelle wie die Blachernenkirche sind auffälliger gelegen und als Sakralbauten doch eindeutig erkennbar. Entgegen einer diesbezüglichen Anmerkung in unserem Reiseführer finden wir sie geöffnet vor. Wir betreten das schlichte Bauwerk und staunen über mehr oder minder gut erhaltene Fresken verschiedener albanischer Meister, darunter einige aus der Hand von Nikolas Onufri, dem Sohn des bekanntesten albanischen Künstlers des Mittelalters.

Vor der Kirche haben wir einen jungen Mann mit Touristenguideausweis bemerkt, der uns nach wenigen Minuten folgt und unaufgefordert über den Kirchenbau zu sprechen beginnt. Nach eingehender Erläuterung der Ikonographie weicht er vom Thema ab und beginnt von den Bektaschi, einem einflussreichen islamisch alevitischen Derwisch-Orden zu erzählen, der seinen Ursprung in der Türkei hatte, dessen Zentrum heute aber in Albanien liegt. Als die Bektaschi nach Albanien kamen, so setzt der junge Mann in hervorragendem Englisch fort, wollten Sie sich selbst nicht ausgrenzen und übernahmen viele der Landessitten, so unter anderem auch das Raki- sprich Schnaps-Trinken – für eine muslimische Strömung doch eher ungewöhnlich. Weiters erzählte er vom Berg Tomorr nahe Berat, auf dem die Bektaschi alljährlich ihr mehrtägiges Opferfest feiern. Daran würden allerdings keineswegs nur Bektaschi und andere Muslime teilnehmen, erklärt er uns, nein auch Scharen von Christen pilgern alljährlich zum Heiligtum auf den Berg. Uns verblüfft die Erklärung des Guides für dieses Phänomen: die Albaner seien sehr abergläubisch und würden Orte, die Segen versprechen, lieber einmal zu oft als nicht besuchen. Das kann - gibt er zu verstehen - natürlich nur ein Teil der Begründung sein, denn wären die Bektaschi nicht so offenherzig, würden sie Andersgläubige dort wohl nicht willkommen heißen. In Zeiten, in denen man den Eindruck bekommen könnte,  dass Islam und Christentum sich eher antagonistisch gegenüberstehen, ist es doch bemerkenswert, was uns der junge Mann da erzählt. Noch überraschter sind wir, als er sich auch noch als sunnitischer Muslim zu erkennen gibt, der durch eine albanisch-orthodoxe Kirche führt, ganz so als würde der Prophet uns Jesus erklären.

Schauplatzwechsel ins Zentrum von Tirana. Wie überall in der Welt nach ihrer Säkularisierung sind auch in der albanischen Metropole nicht mehr sakrale sondern weltliche Gebäude die höchsten der Stadt. Unter ihnen auch der architektonisch nicht unschöne – von den Albanern aber als Mafiabauwerk gebrandmarkte – Plaza Tower, der weithin sichtbar die Blicke auf sich zieht. Der zentrale Skanderbeg-Platz, eine riesige Freifläche, zur Mitte hin leicht pyramidenförmig ansteigend, liegt in unmittelbarer Nähe. Ihn säumen Regierungs-gebäude, Nationalbank, Nationalmuseum, Kulturpalast und Opernhaus. Nicht direkt am Platz aber entlang der Straßen, die den Platz umfassen, fallen jung wirkende monumentale Sakralbauten auf. Jung wohl deshalb, weil sie erst nach der Zeit des atheistischen Diktators Enver Hoxha errichtet wurden. Vielfach sind sie noch nicht einmal fertiggestellt, wie etwa die Fresken der albanisch-orthodoxen Kathedrale der Auferstehung Christi mit ihrem futuristisch wirkenden Glockenturm. Auch die nur einige wenige Steinwürfe entfernte katholische Pauluskathedrale wirkt, als ob sie erst kürzlich eingeweiht worden wäre. Dass sie zu dieser Konfession gehört, ist leicht an der Mutter Theresa Statue am Kirchvorplatz zu erkennen. Und die von der Türkei finanzierte, viertürmige Namazgah-Moschee, ist überhaupt noch von einem Blechverschlag umzäunt und harrt – so geschützt – noch ihrer Fertigstellung. Obwohl die Moschee die beiden christlichen Bauten an Monumentalität – sie wird die größte des Balkans sein –  übertrifft, hat man doch den Eindruck, dass keine Konfession bzw. Religion dominiert. Allein architektonisch betrachtet bestätigt sich so der Schluss, den Wikipedia-Autorinnen im Hinblick auf Thema Religion in Albanien ziehen; nämlich, dass sich die Albaner trotz des Versuchs der massiven Einflussnahme durch konservative islamische Staaten wie Saudiarabien, Iran und Türkei bislang nicht vom Kurs der religiösen Toleranz haben abbringen lassen.

Wir nehmen wie zuvor schon in der orthodoxen auch in der katholischen Kathedrale kurz Platz, um den Kirchenraum auf uns wirken zu lassen. Es dauert keine Minute, da entdeckt uns ein Priester im grauen Hemd und Collare, eilt zu uns herüber und beginnt sofort Deutsch mit uns zu sprechen. Woran er erkannt hat, dass wir aus einem deutschsprachigen Land kommen, ist uns bis heute nicht klar.  Er kommt sofort auf seinen Bischof zu sprechen, der ihm jüngst wie auf Nadeln sitzend mitgeteilt habe, dass er der muslimischen Gemeinde heute unbedingt noch einen Besuch abstatten müsse, weil sie ja ein bedeutsames Fest feiern würden und man doch Anteil nehmen müsse ...  Was er uns damit aber eigentlich sagen wollte, ist, dass sich Religionen und Konfessionen in Albanien nicht nur tolerieren und achten, sondern mehr noch, als Brüder und Schwestern im Glauben verstehen. Denn – so führte er weiter aus – Muslime und Christen könnten ja gar nicht annehmen, dass sie unterschiedliche Götter verehren, wo sie doch beide fest daran glauben, dass es nur einen Gott geben kann ... 

In religiöser Hinsicht haben sich die ehemals kommunistischen Staaten nach dem Fall des eisernen Vorhangs höchst unterschiedlich entwickelt. In Polen ist heute der katholische Nationalismus nahezu konkurrenzlos während in Russland und Georgien die Orthodoxie kaum konfessionelle Toleranz bemerken lässt. Das ehemalige Jugoslawien ist als eine religiös wie konfessionell ähnlich Albanien strukturierte Gesellschaft gar in einem Blutbad versunken. Da ist es doch bemerkenswert, dass ausgerechnet im ehemaligen deklariert atheistischen Bunkerstaat des Enver Hoxha die religiöse Toleranz die Oberhand gewonnen hat.