Bösenstein im Doppelpack



Mit dem Frühjahrsklassiker der Schitouren in den Beinen fällt der Abschied vom Winter schwer.
4. 2018
 

Eine Reise beginnt nicht mit der Abfahrt, sondern beim ersten Gedanken an diese Reise. Oft also schon lange davor und manchmal dauert sie dann ein ganzes Leben lang. So betrachtet ist die Dauer der eigentlichen Reise nicht das Maß der Dinge, sondern die Intensität der Beschäftigung und des Erlebnisses. Meine kleinen Reisen begleiten mich schon seit vielen Jahren. Manchmal vergesse ich sie wieder. Doch im Winter sind sie fast immer gegenwärtig, im Stadium der Planung oder der Nachbetrachtung. Man wartet auf die Tage an denen die wesentlichen Kriterien für eine Schitour gegeben sind und versucht sich rechtzeitig von den Zwängen des Alltags freizuspielen.

Eine eintägige Schitour ist natürlich keine Reise im klassischen Sinn, sondern im Idealfall eine Verdichtung von positiven Reiserlebnissen und Erfahrungen auf wenige Stunden. Das Ganze beginnt bei der Planung. Wie bei jeder Reise muss man sich sehr gut überlegen was in den Koffer (in den Rucksack) kommt. Am besten packt man die wesentlichen Sachen in aller Ruhe am Vorabend ein (mein größter Schwachpunkt!) und verhindert damit, dass man plötzlich ohne Aufstiegsfelle am Berg steht oder dass die Batterien des LVS-Geräts (Achtung: Lawinenverschüttetensuchgeräts) fehlen oder leer sind. In beiden Fällen setzt man sich am besten gleich in die Hütte - so diese bei guter Planung nicht geschlossen hat - oder eben vor die Hütte in die Sonne. Ja, es sollte schon ein schöner Tag sein und es sollten noch ein paar andere Rahmenbedingungen wie Wind, Lawinengefahr und Schneelage der Durchführung einer Schitour nicht entgegenstehen. Eine Schitour ist somit nur kurzfristig plan- und umsetzbar. Ist man auf Grund seiner Lebensumstände nicht sehr flexibel und/oder neigt zu absoluten Sicherheitsentscheidungen, wird’s oft nichts aus dem kleinen Abenteuer vor der Haustür. Die Zeitfenster sind eng bemessen und der Winter wieder rasch vorüber.

Für Freitag 06. April schienen alle angeführten Parameter perfekt zu passen und nach der Entscheidung ob allein oder mit Freunden aufgebrochen wird - das beeinflusst die Tour ebenfalls wesentlich - fiel die Wahl auf zwei Freunde und den Großen Bösenstein (2.448m) in den Rottenmanner Tauern. Dieser wunderschöne und beliebte Schitourenberg überragt im Umfeld alle anderen Gipfel und erlaubt bei der entsprechenden Fernsicht ein unglaubliches Bergpanorama.

Gemeinsam auf Schitour zu gehen, hat natürlich den Vorteil, dass man während der An- und Abreise sowie während der Tour Unterhaltung genießt und im Falle eines Notfalls rasch Hilfe zugegen ist. Genau deshalb sollte man eigentlich auch nicht allein auf Tour gehen. Andererseits bedeuten Mitmenschen wie  immer und überall auch Kompromisse. Berg und Routenwahl müssen am schwächsten Glied der Gruppe ausgerichtet werden usw. … und bereits bei der Abfahrt in Graz scheiden sich die Geister. Gehts nach mir, schnall ich mir noch bei Dunkelheit die Schi an und genieße den anbrechenden Tag bei angenehmen Temperaturen bereits in der Natur. Aber da bin ich eher die Ausnahme und so genieße ich den anbrechenden Tag an diesem 06. April noch unter der Dusche und als wir gegen neun Uhr den Parkplatz unter der Edelrautehütte (1.725m) erreichen sind wir nicht die ersten und es ist bereits so warm, dass wir uns nach kurzer Zeit im T-Shirt weiter bewegen.

Da wird mir klar, dass ich zwar mein Gesicht mit Sonnencreme bedacht, aber weder Hals noch Arme berücksichtigt hatte. Schwerer Fehler. Und Sonnencreme hatte auch keiner dabei. Unglaublich schwerer Fehler. Aber bevor man wieder ins zugegeben extrastylische Langarm Merino Shirt schlüpft; perfekter Schweißabtransport hin oder her, versucht man sich eher ein bisschen im Schatten der Bäume fortzubewegen und verbleibt im T-Shirt. Das mit dem Schatten der Bäume ist natürlich auf einem Südost-Anstieg am Vormittag auf 2.000 Metern Seehöhe eine schlechte Strategie. So steigt man vorbei am schneebedeckten Scheiblsee und gewinnt flott an Höhe. Es wird leicht windig und Wolkenfetzen ziehen von Hohentauern herauf, da spürt man die Sonne auch nicht mehr so auf der Haut.

Der erste etwas steilere Streckenabschnitt ist geschafft und wir gehen zügigen Schrittes an der Südflanke des Hausecks entlang, an einer gemischten Vierergruppe aus Tschechien vorbei (eines der 4 Autos auf dem Parkplatz hatte ein Tschechisches Kennzeichen). Das kurze „Griaß aich“ wurde eher erstaunt und unverständlich erwidert. Aber Ausrüstung top, das muss man sagen.

So gegen 10.30 Uhr erreichen wir den Kessel / Grüne Lacke zwischen Kleinem und Großem Bösenstein. Die Hitze ist mittlerweile groß und der Anstieg wird merklich steiler. Schweißtropfen im Sekundentakt. Das muss man mögen – zugegeben und jedenfalls sollte man immer ein Getränk griffbereit haben. Die Harscheisen hab ich meinen beiden Freunden für diesen Hang noch ausgeredet, aber zurückblickend wärs vielleicht doch keine schlechte Idee gewesen.

Oben auf der Elendscharte zwischen Gr. Und Kl. Bösenstein angelangt ist der Ausblick zum Niederknien. Ein entgegenkommender, vorsichtiger Abfahrer rät uns jetzt für den letzten Anstieg doch die Harscheisen zu verwenden. Na, dann wollen wir uns mal die Mühe machen. Schi abschnallen Harscheisen rauf … Franz verweigert die letzte Steilstufe und verzichtet auf den Gipfel. Genug der Spitzkehren.

Zu zweit erreichen wir 20 min. später den Gipfel. Die letzten Spitzkehren in diesem steilen Hang waren wirklich nicht ohne. Keine 10 Minuten später sind auch die Tschechen da – professionell mit Steigeisen an den Schischuhen erklimmen sie die letzte Flanke.

Die Abfahrt ist dann im oberen Teil ein Genuß. Wir wählen nicht den knollendurchsetzten Aufstiegshang sondern die nördliche Steilrinne. Immer eine kleine Herausforderung zwischen den relativ engen Felswänden mit altbewährter und sicherer Sprungtechnik runterzustechen. Je nach Breite der Schi ist hier aufgrund des tiefen Schnees auch gar nichts anderes möglich. Ausgangs der Rinne, dort wo die Sonne schon ungehindert seit 3 Stunden hinknallt, hätte es mich dann beinahe aus den Schischuhen gehoben.

Diese Abfahrt war so schön, dass wir beschließen auch noch den Kl. Bösenstein mitzunehmen. Diese zusätzlichen 300 m sind es absolut wert und da der Hang eher nordausgerichtet ist, trägt der Harschdeckel noch phantastisch. Man kann hier richtig weite Schwünge runterziehen – limitiert maximal durch das Brennen der Oberschenkel. Strahlende Gesichter in strahlendem Sonnenschein. Es ist schwer zu vermitteln, warum man sich mitten im heiß ersehnten Frühling nochmals zurück in  den Schnee begibt, aber ist man einmal dort, erkennt man, dass es eigentlich kaum was Schöneres gibt.

Im unteren Teil wird der Schnee natürlich immer weicher und erfordert neben Kraft auch gute Konzentration. Einmal haben mich ohne weitere Konsequenzen beide Schi verlassen. Besser hier als oben in der Rinne. Kurze Zeit später erreichen wir müde den Parkplatz und freuen uns etwas sonnenverbrannt auf einen weiteren Höhepunkt des Tages – das eine oder andere Bier danach und sind uns sicher: Das war noch nicht die letzte Schitour in diesem Frühjahr.