Pannendienst auf balkanische Art

Warum man sich auch ohne Autofahrerclub-Mitgliedschaft selbstfahrend nach Bosnien wagen kann.
5. 2017
 
Als wir uns gemächlich auf die serbische Grenze zubewegen, übersehe ich ein kleines Schlagloch. Plötzlich fängt mein Lenker zu schlendern an, zuerst unmerklich, dann immer massiver. Ich reduziere sofort die Geschwindigkeit und bleibe am Straßenrand stehen. Die Luft des Vorderreifens meiner Transalp hat sich verflüchtigt. Andreas bemerkt nach einigen Minuten, dass ich ihm nicht mehr folge und dreht um. Etwas ratlos blicken wir auf das Schlamassel. Es ist Samstag Nachmittag, wir sind mindestens 20 Kilometer von Bijeljina, also von der möglicherweise nächsten Werkstatt, entfernt. Dass wir unsere Tour wie geplant fortsetzen können scheint unwahrscheinlich. Andreas schlägt vor, uns mit dem lädierten Motorrad wenigstens bis zur nächsten Tankstelle durchzuschlagen, sofern sie nicht zu weit entfernt ist. Um das herauszufinden, unternimmt er mit seiner BMW eine kleine Erkundungsfahrt. Schon nach wenigen Minuten kehrt er zurück. Die beiden Kilometer sollten im Schritttempo auf der Felge zu bewältigen sein, ohne noch größeren Schaden anzurichten, so sein Vorschlag. Ich bin skeptisch, versuche es aber. Es werden für meine Arme zwei sehr ermüdende Kilometer, aber das Unterfangen gelingt. Wir haben nun zumindest ein Dach über dem Kopf, das uns vor der prallen Sonne schützt.

Der junge Tankwart ist des Englischen nicht mächtig, geschweige denn spricht er Deutsch; aber es reicht ohnehin, ihm den kaputten Reifen zu zeigen, um deutlich zu machen, was wir brauchen. Er überlegt lange, wie er uns helfen kann, ist selbst etwas ratlos, deutet auf die Uhr, um uns zu verstehen zu geben, dass es schon ziemlich spät ist, um da heute noch etwas zustandezubringen. Doch schließlich ruft er jemanden an, spricht einige Minuten mit dem Gegenüber und legt auf. Dann verlässt er das Tankstellenhäuschen und redet einen seiner Kunden an, der im improvisierten Gastgarten gerade seinen Kaffee schlürft. Irgendwie wird uns vermittelt, dass einer von uns mit dem Mann mitfahren soll. Ich steige in eine der typischen Klapperkisten ein, die auf Bosniens Straßen noch häufig unterwegs sind. Wir kommen zu einer kleinen, von der Straße aus unaufälligen Werkstatt mit einem Anbau zum Vulkanisieren von Reifen. Mein Fahrer führt mich zu einem etwas reiferen Herren, wechselt einige Worte mit ihm, woraufhin mich dieser sofort auf Deutsch anspricht. Es stellt sich heraus, dass er über Jahre in Deutschland als Gastarbeiter tätig war. Sein Versuch, in Bosnien wieder Fuß zu fassen, so gibt er mir zu verstehen, sei nicht erfolgreich gewesen. „Es gibt kaum Möglichkeiten, um sich hier etwas aufbauen zu können“, begründet er seinen Plan, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Nach diesem kurzen Smalltalk über seine Situation schildere ich ihm mein Problem. Er beruhigt mich, sein Sohn könne mir helfen. Also machen wir uns auf, ihn zu suchen. Es stellt sich heraus, dass er nur wenige hundert Meter entfernt in einem Lager für Second-hand-Reifen zu Werke ist. Dort angekommen, steigen wir von der bislang überaus hilfreichen Klapperkiste in einen 5erBMW um, der für bosnische Verhältnisse geradezu neu wirkt. Eine Werkzeugkiste wird eingepackt und Sohn, Vater und ich fahren zurück zur Tankstelle. In wenigen Minuten ist das Vorderrad ausgebaut, im Kofferraum des BMW verstaut und schon auf dem Weg zurück zur Werkstatt. Wir laben uns inzwischen bei Kaffee und Eis und verkürzen so die Wartezeit bis zu dessen Rückkehr.

Es vergehen nur knapp mehr als eine Stunde, und schon sehen wir den BMW in der Ferne aufblitzen, und nur wenige weitere Minuten, bis meine Honda wieder fahrbereit ist. Ich traue meinen Ohren kaum, als man für die Reparatur nur zehn Euro verrechnet und auch noch das kleine Trinkgeld ablehnt, das ich selbstredend drauflegen will. Bevor ich das Ganze überhaupt realisieren kann, sind Vater und Sohn wieder eingestiegen und brausen mit ihrem BMW davon. Zumindest schaffe ich es, dem Tankwart einige  Konvertible Mark (KM) zuzustecken. Die Panne passierte um 15 Uhr.  Es ist 17 Uhr, also Samstag später Nachmittag an einer gottverlassenen Tankstelle irgendwo nahe der bosnisch-serbischen Grenze und wir können unsere Tour fast planmäßig fortsetzen. Unglaublich!