Auf der Hochschaubahn Südamerikas



In kopfwehauslösenden Höhen und ökologisch bedrohten Niederungen Ecuadors unterwegs.
7/8. 2014
 

So, 20.7. - Elias

Am Sonntag brechen wir auf nach Ecuador. Unsere Reisegruppe besteht aus drei Erwachsenen, nämlich Elias, Martha und mir und unseren beiden dreizehnjährigen Burschen Sebastian und Sammy. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mit Elias einen gebürtigen Ecuadorianer in unserer Gruppe haben!

Die Anreise erfolgt mit dem Flugzeug von Graz über Frankfurt und Bogota bis Quito und dauert circa 20 Stunden. Wir kommen in Quito um elf Uhr in der Nacht an, in Graz wäre es jetzt schon sechs Uhr in der Früh! Mit dem Taxi fahren wir vom Flughafen circa eine Stunde bis ins zentral gelegene Hotel „Nueve de Octubre“*. Fernando, unser Chauffeur, hat schon die verschiedensten Jobs gemacht. Trotz seines Uni-Abschlusses als Sportlehrer verdingt er sich als Taxifahrer.


Mo, 21.7. - Jetlag in Quito

Nach nur vier Stunden Schlaf wache ich auf und werde mir erstmals so richtig bewusst, dass wir in Quito sind, der höchstgelegenen Hauptstadt der Welt! Das Frühstück im Hotel ist „europäisch“. Es gibt unter anderem Schinken, Ei, Kaffee, Tee, gesalzene Butter und verschiedene „Jugos“, also Fruchtsäfte: Orange, Papaya und „Tomate de Arbol“. Diese Frucht hab ich bis dato nicht gekannt! Schmeckt fruchtig und süß, aber nicht unbedingt nach Tomate, wie der Name vermuten ließe!

Wir erkunden die nähere Umgebung des Hotels, die Plaza de los Gringos, die Avenida de Amazonas. Das Geldabheben am Bankomat funktioniert mit der normalen Maestro-Bankomatkarte einwandfrei! Ecuador hat keine eigene Währung, hier gilt der US-Dollar!

Am Nachmittag fahren wir mit dem Taxi zum Aussichtsberg „El Panecillo“. Die überdimensionale Marienstatue dort ist das Wahrzeichen Quitos. Die Aussicht auf die Stadt ist prächtig! Mit dem Bus geht’s zurück in die Altstadt, wir essen auf der „Plaza de San Francisco“, besichtigen die imposante koloniale Klosteranlage „Iglesia de San Francisco“, machen einen schnellen Rundgang durch die übrige Altstadt bis zur „Plaza Grande“. Wie aus dem Nichts werden wir plötzlich von Schuhputzerjungen umschwärmt. Elias verscheucht sie und rät uns, ihnen nichts zu geben, damit sie uns in Ruhe lassen. Wir nehmen ein Taxi zurück ins Hotel, die Straßen sind verstopft, es herrscht Verkehrschaos!

Am Abend sind wir bei Bekannten von Elias eingeladen, wir quetschen uns in einen öffentlichen, heillos überfüllten O-Bus und fahren los, das letzte Stück müssen wir zu Fuß gehen, die Abgase an den Kreuzungen sind penetrant!

Elias‘ Freunde empfangen uns herzlich, wir essen gemeinsam und können die Augen kaum offenhalten wegen des Jetlags, eine deutsche Studentin aus München ist auch zu Besuch, sie erzählt von ihrem freiwilligen sozialen Jahr, das sie als Englischlehrerin in Otavalo verbringt.


Di, 22.7.2014 - Probleme mit der Höhe

Elias leistet sehr viel Organisationsarbeit, um unsere weiteren Reiseetappen zu sichern: Taxi- Bus- und Hotelreservierungen, Anzahlungen, Telefonate wegen unserer geplanten Dschungeltour etc. etc. Seinem unermüdlichen Einsatz haben wir es zu verdanken, dass wir diese Reise in dieser Form überhaupt machen können!

Wir entschließen uns zu einer Bergtour auf den Hausberg Quitos, den fast 4700 Meter hohen Rucu Pichincha! Die Anreise erfolgt zunächst mit dem Taxi, dann geht’s mit der Seilbahn bergauf. Von der Gondel aus erblicken wir die eindrucksvollen schneebedeckten Gipfel von Cotopaxi, Chimborazo und Cayambe!

Die Wanderung erweist sich dann doch als schwieriger, als es uns zunächst erscheinen wollte, Kopfschmerzen stellen sich ein, die Luft zum Einatmen wird knapp, wir kehren vorzeitig um, Sammy muss das letzte Wegstück sogar auf dem Rücken eines Pferdes zurücklegen, weil er nicht mehr marschieren kann!

Am Abend sind wir wieder zurück in unserem Hotel. Wir gehen in das nahe gelegene Grillrestaurant „Bransero“ – bis auf Sebastian, er geht gleich schlafen, weil er immer noch Kopfweh von der Wanderung hat! An den neuen Tag-Nacht-Rhythmus müssen wir uns auch erst gewöhnen: Zwischen halb und dreiviertel sieben setzt die Dämmerung ein und um sieben Uhr abends ist es dunkel!

Wir essen sehr gut im „Bransero“. Die Preise hier sind für ecuadorianische Verhältnisse wohl im gehobenen Bereich anzusiedeln: Eine Portion Grillhendl mit Reis, Kartoffeln und Salat kostet 8,50 Dollar, Sammy isst ein „Lomo fino“, eine Art Rindssteak, um 15 Dollar.


Mi, 23.7. - Die Mitte der Welt

Wir nehmen uns ein Taxi und fahren eine knappe Stunde nordwärts durch ein trockenes Tal zur „Mitte der Welt“ (Mitad del Mundo). Hier befindet sich das berühmte Äquatordenkmal – ein Aussichtsturm mit einer Weltkugel obenauf, exakt am Äquator gelegen – oder doch nicht ganz so exakt, weil man sich bei der Berechnung seinerzeit um ein paar hundert Meter vertan hat. Rundherum hat man ein rein touristisches „Dorf“ angelegt mit jeder Menge Souvenirläden! Im Inneren des Turms befindet sich ein ethnologisches Museum, wo den Touristen die Lebensumstände der alten, sehr unterschiedlichen Indiovölker Ecuadors von der Küstenregion, vom Hochland und aus dem Amazonastiefland näher gebracht werden. Auch Schrumpfköpfe gibt es zu bestaunen – sehr interessant!

Wir stärken uns mit „Humita“, in Maisblätter eingewickeltem und mit Käse verfeinertem Maisbrei, eine schmackhafte, für Ecuador typische Snackmahlzeit. So was könnten wir doch auch zu Hause in Graz machen, schmeckt gut und ist offenbar einfach und leicht hergestellt!

Am Rückweg zum Taxi möchte Elias von einem Arbeiter, der für die Pflege der Parkanlagen zuständig ist, wissen, wie viel er monatlich verdient und ob er sozialversichert ist: Der Mann bejaht und meint, er bekomme 500 Dollar monatlich – für Elias erneut ein Hinweis darauf, dass der Lebensstandard in Ecuador beständig höher wird.

Wieder zurück in Quito bezahlen wir unser Hotel: Eine Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück kommt auf circa 40 Dollar.


Do, 24. 7. bis So, 27.7. - Zivilisation versus Natur

Es geht etwa 100 km weiter nordwärts nach Otavalo, wo uns der größte Kunsthandwerksmarkt Ecuadors erwartet. Nachdem wir im „dschungelartigen“ Hotel „Hostal Valle del Amanecer“ eingecheckt haben, spazieren wir gleich neugierig runter zum Hauptplatz, wo sich eine ganze Menge Verkaufsstände mit den erwarteten Utensilien befindet: Decken, Hemden, Hauben, Jacken („Jompas“), Ponchos, T-Shirts, Geldtaschen, Zierkürbisse mit eingravierten Meerschweinchenmotiven, Tagua-Halsketten in verschiedensten Farben und Ausführungen und vieles mehr. Die Tagua-Nuss ist das Schmuckmaterial schlechthin in Ecuador! Tagua-Nüsse werden hier unter anderem zu sehr kunstvollen Schmuckgegenständen verarbeitet. Ich bin auf der Suche nach günstigen Panamahüten, die für ihre Robustheit bekannt sind. In Quito hat es welche um über 120 Dollar gegeben, das war mir zu teuer! Hier am Markt werden die Hüte um etwa 15 bis 20 Dollar angeboten. Sie sind zwar bei Weitem nicht so fein verarbeitet, dennoch, jetzt wird zugeschlagen - für mich und für einen Freund, der sich diese Kopfbedeckung als Mitbringsel gewünscht hat! Die Hüte werden übrigens in den nächsten zwei Jahren gute Dienste leisten!

Am Abend genießen wir in einem Restaurant die gebratenen beziehungsweise gegrillten “Truchas“ (Forellen). Elias wird von starken Kopfschmerzen geplagt. Wir mutmaßen, dass das Andenklima und die Seehöhe schuld daran sind, die Kopfschmerzen werden in den nächsten Tagen Gott sei Dank wieder besser.

Am Freitag unternehmen wir einen Ausflug zur „Laguna Cuicocha“ im „Reserva Ecologica Cotacachi“. Ein Pickup-Taxi bringt uns hin. Die Jungs wollen aus Gründen der Coolness und Abenteuerlichkeit auf der Ladefläche sitzen, was bis vor kurzem auch möglich gewesen wäre, doch jetzt sind die Gesetze strenger geworden und der Fahrer verweigert aus Angst vor den empfindlichen Geldstrafen der Polizei.

Die Wanderung durchs Reservat ist wunderschön, wir bewegen uns auf circa 3000 m Seehöhe etwa vier Stunden lang durch den Bergurwald, die Vegetation ist traumhaft, die Aussicht auf die unter uns liegende Lagune ebenso, an einem Rastplatz genießen wir den Blick auf den über uns thronenden Cotacachi, den fast 5000 m hohen Vulkan, dessen Gipfel sich uns für einen kurzen Moment ganz ohne Nebelschwaden präsentiert.

Dass es sich bei diesem Reservat allerdings nur um ein kleines Naturjuwel innerhalb monotoner Kulturlandschaft handelt, wird mir bewusst, als wir den Wanderpfad verlassen, um auf der Landstraße inmitten eintöniger Maisfelder und Weideflächen zurück zum Taxi zu marschieren.

Am Abend wird im Freien am Marktplatz gegessen, es ist billig und schmackhaft, ich achte etwas ängstlich darauf, dass mein gebratener Fisch auch wirklich gut durch ist!

Wir schlendern dann noch durch die Gassen und landen in einer Kunsthandwerkstube, wo ich um 12 Dollar ein elegantes, aus Tagua-Nuss gefertigtes Engelsfigürchen für meine Mutter kaufe. Der etwas esoterisch angehauchte Besitzer des Ladens erzählt uns, er habe ursprünglich Mechaniker gelernt, später sei er bei verschiedenen diplomatischen Vertretungen in Quito angestellt gewesen, dann habe er mit dem ersparten Geld sein eigenes Geschäft eröffnet, um hier seine selbst hergestellten Kunsthandwerksprodukte zu verkaufen.

Am Samstag ist großer Markttag in Otavalo. Nun sind auch in den Seitengassen überall Verkaufsstände aufgestellt. Es wird in riesigen Töpfen im Freien gekocht, am großen Marktplatz werden Spanferkel am Spieß gedreht, Touristen – wohin das Auge reicht. Unser „Hostal“ ist mittlerweile voll besetzt, eine Jugendgruppe aus den USA ist abgestiegen. Am Sonntag chauffiert uns Senor Romero, der Chef unserer „Hostal“, mit seinem Auto gegen ein Entgelt von 70 Dollar zurück nach Quito in unser vertrautes Hotel „Nueve de Octubre“.


Mo, 28. 7. bis So, 3. 8. - Der Dschungel und das Öl

Nach einer Übernachtung in Quito brechen wir auf zur nächsten Reiseetappe ins Amazonastiefland. Die Busfahrt dauert circa 10 Stunden: Nachdem wir das Andenhochland überquert haben, wird die Vegetation üppiger, es wird spürbar wärmer und dunstiger, Regen setzt ein, armselige Behausungen säumen die Straße. Im Bus laufen originalsprachige amerikanische Action- und Kriegsfilme, unter anderem mit Arnold Schwarzenegger. Eine Zeitlang fahren wir an einer Ölpipeline entlang. Als wir in Coca ankommen, ist es bereits stockdunkel, mit dem Taxi geht’s ins „Heliconias Grand Hotel“. Elias hat für uns eine ziemlich luxuriöse Touristenunterkunft organisiert, während in der Stadt Coca offensichtlich viel Armut herrscht. Wir treffen uns noch mit unserem künftigen Dschungel-Guide Jorge, einem alten Bekannten von Elias, zu einem Stadtspaziergang. Jorge gibt uns auf Englisch einen Einblick in die regionalen Verhältnisse: Coca hat derzeit circa 25 000 Einwohner und ist geprägt von der Erdölindustrie. Internationale Firmen - angeblich vor allem chinesische - betreiben im Umland Erdölförderung. Die Stadt wächst beständig, weil sich die Menschen hier Arbeit erhoffen. Jorge arbeitet selbständig als Dschungelführer, sein Großvater war ein indianischer Schamane und hat ihm die Liebe zur Natur „vererbt“. Jorge beklagt sich auch darüber, dass die Firmen den Wald massiv verschmutzen und den Lebensraum der Indianer zerstören.

Am nächsten Tag besuchen wir Bekannte von Elias. Sie haben fünf Kinder im Alter von 8 bis 22 Jahren und auch schon ein paar Enkelkinder. Der Vater hat als „Petrolero“ (Erdölarbeiter) gut verdient und ist nun mit der Aufstockung seines Hauses für die immer größer werdende Familie beschäftigt. Anschließend spazieren wir durch eine lehmige Gegend, wo sich viele halbfertige Rohbauten und Baracken befinden. Elias ist ganz erstaunt darüber, wie sehr die Stadt seit seinem letzten Besuch schon wieder gewachsen ist.

Von Mittwoch bis Samstag steht unsere Dschungeltour am Programm, die wir bei Jorge zum Preis von 320 Dollar pro Person gebucht haben. Zunächst sind wir mit dem Motorboot am Rio Napo, einem Nebenfluss des Amazonas, unterwegs. Mit LKWs beladene Transportschiffe, die an uns vorbeifahren und Schlote am Ufer, aus denen Flammen und Rauch aufsteigen, weisen darauf hin, dass  hier überall mitten im Regenwald Erdölförderung betrieben wird.

Nach etwa einer Stunde Fahrt gehen wir an der  „Isla de los monos“ (Affeninsel), einer Naturbeobachtungsstation, die von einer deutschen Biologin betrieben wird, an Land, wo wir eine Wanderung durch den Wald machen, unsere ersten Dschungeleindrücke sammeln und verschiedene Affenarten in den Baumkronen beobachten können.

Dann geht’s Stunde um Stunde weiter flussaufwärts, es dämmert, schließlich setzt komplette Dunkelheit ein, wir tuckern mittlerweile auf engen Flussläufen dahin, die Zweige des umliegenden Dickichts ragen schon beinahe ins Boot, als  wir endlich unsere unsere Unterkunft, die „Hoatzin Paradise Lodge“, erreichen.

Die darauffolgenden Tage im Dschungel verbringen wir mit Bootsfahrten, kleinen Wanderungen, Blasrohrschießen, Piranafischen und Tierbeobachtungen. Wir bekommen vor allem exotische Vögel, Affen, Schlangen, große Spinnen und verschiedene Schmetterlinge zu Gesicht - Kaimane sehen wir zu unserer Enttäuschung keine. Jorge erklärt uns, sie hätten sich aufgrund der Überschwemmungen der letzten Tage weiter in den Dschungel zurückgezogen.

Am Rückweg nach Coca machen wir am Rande des für seine enorme Artenvielfalt bekannten Yasuni-Nationalparks Halt. Der Zutritt ins Innere dieses Reservats  ist zum Zeitpunkt unserer Reise noch verboten, sodass die ansässigen indigenen Stammesgruppen ihre traditionelle Lebensweise weitgehend unbehelligt pflegen konnten.  Da aber auch hier große Erdölverkommen entdeckt wurden, wird diese Region im Jahr 2016 leider auch für die Erdölförderung zugänglich gemacht!


Montag, 4. 8. bis Samstag, 15.8. - Abschied bei den Riesen des Meeres

Wir sind zurück in Quito, Sammy und ich leiden unter Fieber und Durchfall, doch wir erholen uns bald wieder. Für die letzte Woche unseres Ecuador-Aufenthaltes fahren wir mit dem Bus westwärts über die Anden an die Pazifikküste nach Atacames, wo wir unter anderem eine eindrucksvolle Bootstour unternehmen, auf der wir Wale beobachten können.

Schließlich treten wir nach einer enorm erlebnisreichen Zeit wiederum über Quito unsere Heimreise nach Graz an.


* Am 9. Oktober 1820 erklärte sich Guayaquil - eine 2,5 Millionen Einwohner zählende Stadt am Pazifik - als erster Bestandteil des heutigen Ecuador von der spanischen Kolonialherrschaft für unabhängig. Die Machtübernahme ging ohne großes Blutvergießen über die Bühne.