Reise zu einem Surrealisten

Eine Fahrt zu den prominentesten Wirkungsstätten Salvador Dalis führt nach Figueres, Pubol, Cadaques und Port Lligat.
09. 2013
 

Surrealer Separatismus?

Alles beginnt damit, dass die Region die man besucht, gerade damit beschäftigt ist, sich vom Zentralstaat loszulösen. Besonders ernst nimmt man dieses Ansinnen in Katalonien immer am 11. September, dem hiesigen „Nationalfeiertag“. So auch in Girona*, wo sich eine ganze Stadt in die nationalen Farben von Gelborange kleidete und mit Ihr auch die gesamte Bevölkerung, in der gleichen Corporate Identity eine Kette bildete, doch damit nicht genug, Kettenbildungen in ganz Katalonien stattfanden, in Barcelona ebenso wie weit weg im am Pyrenäensaum gelegenen Cadaques, und man diese Städte entlang der Küste verband und sich zu Hunderttausenden auffädelte zu einer gewaltigen „nationalen Perlenkette“; und sich einem überall Transparente mit der Aufschrift „Catalunia – A new european State“ entgegenstellten; und man ganz verwundert darüber ist, dass die Staatsmacht an keiner Stelle, nicht einmal im Hintergrund Präsenz zeigte; vermutlich, weil auch Polizisten, national eingekleidet an diesem besagten 11. September 2013 ein Glied dieser Kette bildend, vergaßen, dass Sie doch eigentlich von Amts wegen dagegen auftreten hätten müssen, oder vielleicht auch nur eine Ignoranzstrategie des spanischen Staates** umsetzten. Und der durchschnittlich gebildete Mitteleuropäer steht dem ziemlich verwundert gegenüber und kann sich höchstens an in ETA-Terror manifestierende Unabhängigkeits-bestrebungen auf der iberischen Halbinsel entsinnen und stellt sich die gleiche Frage, mit der die Catalonia Press ihren zum „Nationalfeiertag“ erschienenen Paperbackband betitelte: „Que le pasa a Cataluna?“ („Was ist los in Katalonien?) Wir konnten und wollten zur Beantwortung der Frage nicht die wenigen Tage, die für eine andere Spurensuche vorgesehen waren, verwenden und beruhigten unser bildungshungriges Gewissen damit, den Band zu erstehen und als ungewöhnliches Urlaubssouvenier in den Koffer zu legen, müssen zu unserer Schande aber auch eingestehen, bis heute nicht einen Blick*** hineingeworfen zu haben.
 

Buntes Basislager für Pubol

Mitte September ans Mittelmeer zu fahren ist ein Risiko, aber nicht etwa wegen allfälliger Unabhängigkeitsbestrebungen, die als Störung der Urlaubsfreude empfunden werden könnten, sondern wegen der auch dort nicht ausbleibenden Vorboten des Herbstes, die sich – nur kurz durch letzte Aufbäumungen eines sterbenden Sommers unterbrochen - in sehr mäßigen Temperaturen artikulierten. Aber vielleicht erweist sich Girona gerade jenseits sommerlicher Temperaturen als besonders schön, wir wissen es nicht sicher, wir haben den Vergleich nicht. Ganz oben in der Ästhetikpyramide der Stadt steht natürlich der Fluss mit seinen geschlossenen, bunten Häuserfronten zu beiden Seiten, die sich an manchen Stellen kühn auf den Fluss hinauslehnen. Nicht zu vergessen ist auch die Kathedrale, mit der beeindruckenden Schöpfungstapiserie im Kathedralmuseum; genussreich erweist sich ein Spaziergang auf der schier unendlich langen Stadtmauer, die stets einen abwechslungsreichen Blick auf die verschiedenen Viertel gewährt. Und dann sind da noch einige Plätze, allen voran der Placa Independencia – wie könnte er anders heißen in diesen Tagen – mit seinen einladenden Arkaden und Restaurants, die den Platz säumen ohne ihn einzuengen. Das Geldbörserl blickt auf diese Stadt, mit ihren zahlreichen attraktiven Geschäften und Boutiquen allerdings doch mit einiger Sorge. Und überall trotz anzunehmender Erschöpfung nach einer anstrengenden Urlaubssaison und trotz einer wohl auch an Katalonien nicht spurlos vorübergehenden Wirtschaftkrise freundliche, hilfs-, und auskunftsbereite Menschen; man fühlt sich willkommen, das beginnt schon bei der Buchung der Hotels daheim am Computer, übrigens ganz ohne An- oder Vorauszahlung.


Freiwillig oder erzwungen im Exil

Die Schönheit Gironas ließ uns den Grund, der uns nach Katalonien führte, beinahe vergessen. Doch dann erinnerten wir uns an den Arbeitstitel der Reise: „Auf den Spuren Salvador Dalis“. Also brachen wir auf zur ersten Station der sogenannten Dali-Route, zum Castell de Pubol, und zwar mit dem Bus von Girona aus. Hier mussten wir am eigenen Leib erfahren, dass der katalanische Kilometer in Wirklichkeit drei lang ist. Aus der Auskunft über die angebliche Entfernung der Bushaltestelle von Pubol, die uns die selbstredend freundliche Dame des oficina de turismo gab, errechneten wir einen 30-minütigen Fußmarsch. Daraus wurden letztlich eineinhalb Stunden, verlängert noch durch einen kleinen Ort namens La Pera, (die Birne), den wir nicht unbesichtigt passieren wollten.

Pubol, der für Dalis Frau und Muse Gala umgebaute mittelalterliche Hof, auf dem sie – inoffiziellen Quellen zufolge - dem Dali-Rummel in Port Lligat zu entkommen suchte, und den Dali angeblich nicht ohne schriftliche Genehmigung betreten durfte, vielleicht um Gala nicht inflagranti mit ihren zahlreichen? Liebhabern zu erwischen, bietet obwohl überaus feudal und aristokratisch eingerichtet, einen durchaus einladenden Eindruck; hier ließe es sich leben. Ungeachtet dessen, dass Gala Dali verboten haben soll, sich beim Einrichten einzumischen, kommt Pubol natürlich nicht ganz ohne Dalis surrealistische Verrücktheiten aus wie z. B. den Blick auf Galas ausgestopftes Pferd im Keller, der durch die Glasplatte des Wohnzimmertisches mit den Straußenbeinen möglich ist.

Doch kehren wir nochmals kurz zur angeblichen Flucht Galas zurück. Es halten sich auch Gerüchte, dass Dali selbst Gala expatriierte, weil Sie ihm lästig war. Erfahren haben wir das auf unserer Reise von Menschen, die Dali noch selbst gekannt hatten. Wie auch immer, müde zwar, weil aus einem Spaziergang eine kleine Wanderung geworden war, aber zufrieden darüber, dass wir nicht der Versuchung erlegen sind, Pubol auszulassen, kehrten wir für eine weitere Nacht nach Girona zurück.


Das Museum macht die Stadt

Auf unserer Spurensuche nach dem berühmten katalanischen Surrealisten, ging es dann mit dem Zug weiter nach Figueres, der Geburtsstadt Dalis. Zu unserer Verwunderung war der Zug innen vollkommen weiß, ja gerade zu krankenhausweiß. Schwer vorzustellen, wie man diese Innenausstattung auf Dauer sauber halten kann. Wie auch immer, in jedem Fall passte diese Einrichtung blendend zu dem surrealen Trip, auf dem wir uns befanden.

Allein die Tatsache, dass Figueres die Geburtsstadt Salvador Dalis ist, hätte wohl nicht für die heutige touristische Bedeutung des Ortes ausgereicht. Erst die durch den Künstler selbst betriebene Installierung des großen Dali-Museums gab der Hauptstadt der L’Emporda – wie diese östlichste Region Kataloniens heißt – ihren einzigartigen touristischen Stellenwert. Das Teatre Museu Dali bietet neben dem berühmten Dali-Museum in Miami (USA) eine der umfassendsten Sammlungen der Arbeiten des katalanischen Meisters. Die Ausstellungsräume – auf mehreren Ebenen rund um den Patio mit dem regennassen schwarzen Cadillac, über dem eines von Galas gelben Booten drohnt und um die Eingangshalle mit der monumentalen Glaskuppel des ehemaligen Theaters platziert – gehen über von surrealistischen Werken aus den unterschiedlichsten Schaffensperioden Dalis, beeindrucken durch stilistische Vielfalt und zeugen auch von den Beziehungen Dalis zu anderen Künstlern, deren Werke – teils kaum zu unterscheiden – unter jene von Dali gemischt sind.

Abgesehen  vom Dali-Museum ist Figueres eher unauffällig, ebenso wie dessen beste Restaurants ihre geniale Küche eher zu verstecken trachten als anzupreisen. Und dies machen sie so effizient, dass man über all den Gaumenfreuden sogar vergißt den Namen desjenigen Restaurants aufzuschreiben, in dem man gerade eben noch so herrlich verwöhnt wurde.  Sorry!

 

Der Gipfel und die drei Nebengipfel

Gelungen ist eine Reise besonders dann, wenn ein Höhepunkt den nächsten jagt. Cadaques, das neben Port Lligat, für einige Jahre Wohn- und Lebensmittelpunkt Dalis war, erfüllt diese Erwartung mit Leichtigkeit. Es erinnert an ein andalusisches Pueblo Blanco (ein weißes Dorf) und erweist sich damit - den Separatisten zum Trotz - als sehr spanisch. Und doch scheint es sich gegen den Rest des Landes durch seine isolierte Lage abzuschotten, auch wenn der Rest hier Katalonien selbst ist.

Cadaques ist ein Dorf der KünstlerInnen und Bohemiens, das war schon zu Zeiten Dalis so und ist auch heute nicht anders. Ein kleiner Spaziergang durch die vielen schmucken Seitengässchen zeigt dies sofort. Drei Dinge muss man in Cadaques unternehmen sonst war man nicht richtig dort. Keinesfalls lässt man das Naturschutzgebiet Cap des Creus aus, das man entweder zu Fuß oder mit einem Boot besucht. Die Fahrt mit dem Boot hat den Vorteil, dass man Cadaques von Meer aus zu Gesicht bekommt – einen schöneren Blick auf den Ort gibt es wohl nicht. Eine Tages-Wanderung zum Cap wiederum führt entlang schöner Fjorde und Buchten mit steil ins Meer hinabstürzenden Felswänden und stets spektakulärem Blick auf die See.  Unbedingt auch anzuraten ist ein Spaziergang über eine alte Steinbrücke auf die nahe dem Ort gelegene kleine Halbinsel in südlicher Richtung. In den bizarren Felsformationen dort erkennt man unschwer Motive, die Dali in seiner Kunst verarbeitet hat. Auf dem Weg passiert man auch genau jene Stelle, an der Dali sein berühmtes vorsurrealistisches Gemälde von Cadaques gemalt hat.

Schon zu Lebzeiten war Dali ein Star und wurde von seinen Fans belagert. Deshalb beschloss der Künstler nach einigen Jahren in Cadaques sein Domizil ins nahe gelegene Port Lligat zu verlegen – was ihm letztlich auch nicht half. Denn Nahe heißt einfach hinter den nächsten Hügel. Dort errichtete er seine Villa. Sie zu besichten ist die dritte, sicher wichtigste Unternehmung in Cadaques. Dringend empfohlen sei auf ein Taxi zu verzichten und den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen, denn der Fußweg ist jeden anstrengenden Atemzug wert. Dalis Villa, übrigens ein nach den Plänen des Meisters umgebautes und ständig erweitertes ehemaliges Fischerhaus, ist zwar nicht gerade bescheiden, aber auch nicht übermäßig pompös ausgefallen. Bei aller surrealistischen Exaltiert- und Verrücktheit des Künstlers zeigt sich am Gebäude und seiner Ausstattung – einmal abgesehen vom Swimmingpool in Penisform – dass Dali mit reichlich Geschmack ausgestattet war. Dort veranstaltete er recht häufig seine legendären Abendessen, zu denen, wer etwas Glück hatte, eingeladen wurde.  Während dieser Gelage pflegte seine Frau Gala sich in den berühmten ovalen Raum des Hauses zu flüchten. Von der Dali-Villa aus gibt es entlang der Küste einen anderen Fußweg zurück nach Cadaques. Auf diesem passiert man vermutlich jene Stelle, an der Dali zu baden pflegte, um vor schaulustigen SchwimmerInnen sicher zu sein. Das dort in Massen wachsende Seegras war Dalis Schutzschild vor lästigen Fans.

 

Epilog auf die Unvergänglichkeit

Salvador Dali ist in Cadaques und Port Lligat überall präsent, und man trifft dort kaum ein älteres Semester, das den Meister nicht noch selbst gekannt hat. So auch der Chef des prominenten an der Placa de Frederic Rahola gelegenen Hotels La Residencia mit seinen zweigeschossigen Suiten und dem traumhaften Blick auf die Costa Brava, die wilde Küste. Gerade weil es schon etwas in die Jahre gekommen ist, atmet es noch den Geist jener großen Zeiten, die eng mit Salvador Dali in Zusammenhang stehen. Und es gelingt gerade diesem ehrwürdigen Haus die Vergänglichkeit, die Dali mit seiner zerfließenden Uhr so prägnant dargestellt hat, noch aufzuhalten.  



* Der Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung kommt aus Girona. Es ist Carles Puigdemont, ehemaliger Bürgermeister von Girona und seit Jänner 2016 Präsident der Generalitat de Catalunya (also der Region Katalonien).