Die Erfinder des Christentums



Meine Reisen in die Mönchsrepublik Athos der Jahre 2009, 2015, 2017, 2018 und 2019.
2009 - 2019
 

Die Griechen sind einer der frühesten Erfinder des Christentums. Es ist kein Zufall, dass das Neue Testament in griechischer Sprache griechisch gedacht ist, wie auch die wichtigsten Begriffe der christlichen Dogmatik griechisch sind; auch die Architektur, die Malerei, die Ikonen, das Kunsthandwerk, alles was der Pilger am heiligen Berg sieht und erlebt.

Nichts brauchen. Das ist der Gedanke der über dem Lebensentwurf des Eremiten steht. Einschränkung und Konzentration, um in der Enge die Weite zu finden.

Der Streit der griechischen Hesychasten gegen die lateinischen Scholastiker, der Sieg der Mystik über die Ratio, die Kontemplation der Liturgie steht über der Spekulation der Theologie.

Die griechischen Kirchen als Nachfolger der antiken Tempel? Gesang, Weihrauch, Gebete, Ikonen, Reliquien, sehr sehr langdauernde Rituale, das durfte ich als Pilger am Berg Athos erleben. Das Christentum als Ritual, als asketische Praxis.


Erste Berührung

Es muß in den Jahren 1979/80 gewesen sein, als mir ein Bildband von Emanuele Grassi in einer Buchhandlung in die Hände fiel. Ein Buch mit vielen Farbfotos und einem Reisebericht des Autors über die Athosklöster in der Zeit vor der später einsetzenden Renovierungswelle. Die in diesem Buch dargestellte Welt schien mir anziehend, doch sehr sehr fremd und unerreichbar. Ich hatte damals mit achtzehn Lebensjahren keine Ahnung davon, wie ich jemals diese sehr verschlossen scheinende Welt erreichen könnte. Dreißig Jahre später lernte ich einen Mann kennen, der seit den frühen neunziger Jahren mehr als vierzig mal den Berg Athos bereiste. Anfang September 2009 hatte ich erstmals die Möglichkeit,  die Mönchsrepublik zu besuchen.


Ritual

Tourist oder Pilger? Mit Jahresabständen immer wieder dasselbe Ritual einer Reise an denselben Ort zu machen, bringt eine besondere Beziehung zum Reiseziel.

Ein Reservat, ausschließlich für Männer, für Mönche der christlichen Orthodoxie. Eine eigene tausendjährige Verfassung mit einer Hierachie aus zwanzig Klöstern, die seit 1926 Teil der Verfassung der griechischen Republik ist. Es gibt in den Kirchen des Ostens keine Orden im Sinne der katholischen Kirche. Jedes Kloster hat in der Orthodoxie eigene monastische Traditionen und spezielle Gebräuche.

Eine Halbinsel, durch eine Grenzsperre vom Festland getrennt, deshalb nur per Schiffsfähre wie eine Insel erreichbar. Eine Grenze, die nur mit einem speziellen Visum, einer schon im Heimatland des Einreisenden besorgten Einreiseerlaubnis zu passieren ist. Also ein Reisepass ist nötig mit dem „Diamonitirion“, ausgestellt von der „Hiera Epistasia“ des „Hagios Oros“, einer Behörde mit Sitz in der Hauptstadt Karyes, etwa in der geografischen Mitte der Athos-Halbinsel. Dieses Dokument holt man vor dem Grenzübertritt im Büro der Hiera Epistasia des kleinen Grenzortes Ouranopoli ab.
Daraus ergibt sich ein wichtiger Punkt des Einreiserituals: Morgens ab 6.30h ist am Tag der Einreise das bestellte Visum abzuholen. Es kostet derzeit 30€, und berechtigt zu drei Übernachtungen in jeweils einem der 20 Großklöster, oder in einer diesen angeschlossenen Skiten. So heißen kleinere Klöster oder Eremiten-Dörfer. Dort leben ein bis zwei Mönche in einem Haus mit kleiner Kapelle wo sie ihre Gebetsrituale alleine vollziehen, selbst die Mahlzeiten zubereiten, Handwerksarbeit, Gartenarbeit und Hausarbeit verrichten, Ikonen malen usw. Hat man nun als Einreisewilliger sein „Diamonitirion“ in Händen, berechtigt dieses Papier zum Kauf einer Schiffsfahrkarte vom Hafen in Ouranopoli zum wichtigsten athonitischen Hafenort Dafni, der auch ein Verkehrsknotenpunkt  für Kleinbusse zu allen Klöstern ist.


Abgrenzung

Besonders Frauen sind davon betroffen. Es heißt, daß widerrechtliches Einschleichen von Frauen mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht ist. Es wird auch behauptet, daß dieser Bann weiblicher Wesen sich auch auf weibliche Haustiere erstreckt. Große Reit- und Tragetiere wie Maulesel sind nicht fortpflanzungsfähige Hybride. Bei Hühnern gibt es eine Ausnahme, weil Eier als Pigmentbindemittel in der Ikonenmalerei benötigt werden.

Auch nicht orthodoxe Pilger geraten in den Genuß einer abgrenzenden Sonderbehandlung, die von Kloster zu Kloster verschieden sein kann. Getrennte Essenszeiten  oder getrennte Tische in der Trapeza. Bei der Liturgie ist zumeist der Zutritt in den Hauptraum des Katholikons untersagt. In manchen Klöstern sitzt der nicht orthodoxe Gast im Exonarthex und wartet die Gebetszeiten sozusagen vor der Tür ab.

Weiters existieren nationale Abgrenzungen, die bei der Pilgerbeherbergung eine Rolle spielen können. Es ist ratsam, schon vorausplanend für einen bestimmten Tag um Nächtigungsmöglichkeit anzusuchen. Es gibt ein serbisches, ein russisches, ein bulgarisches und ein rumänisches Kloster. Nicht selten kann es sein, dass man bei der Vorbestellung abgewiesen wird. Die verschiedenen Nationen nehmen bevorzugt Angehörige ihrer Konfessionen auf. Die Klöster werden zwar mehrheitlich von griechisch sprechenden Mönchen bewohnt, obwohl es Mitglieder aus aller Welt gibt, die sich in den einzelnen Gemeinschaften unter der Voraussetzung integrieren, die jeweilige orthodoxe Konfession anzunehmen.

Ich bemerkte beim Besuch der verschiedenen Klöster unterschiedliche Abgrenzungsbedürfnisse zu nicht orthodoxen Menschen. Das zeigt sich hauptsächlich im Umgang mit den rituellen Gewohnheiten und dem Verhalten in den Sakralräumen beim Küssen der Ikonen und Reliquien, der Art das Kreuzzeichen zu machen und natürlich der Sprachbarriere.


Gemeinsamkeit

Kirche (Katholikon) und Speisesaal (Trapeza) mit Küche liegen in den meisten großen Klöstern in der Mitte der Anlage einander gegenüber. Katholikon und Trapeza sind meist die architektonischen Zentren, um die herum die Wohngebäude und Werkstätten gebaut sind. Am deutlichsten ist dies in den Klöstern der großen Lavra, im Kloster Iviron und Vatopaedi sichtbar, die den Charakter kleinster byzantinischer Städte aufweisen, mit Stadtmauer, kleinen Werkstätten und frei stehenden Häusern, Türmen, Plätzen und Brunnen. Gemeinsames Gebet in der Kirche und gemeinsames Zubereiten und Einnehmen der Mahlzeiten sind das Zentrum des koinobitischen Mönchslebens.

Ich beobachtete in verschiedensten Klöstern immer wieder Mönche beim Gemüse Putzen, gemeinsam halb im Freien halb über Dach um einen grossen Tisch sitzend oder riesige Kochtöpfe reinigend. Es gibt Mönche die mit kleinen Traktoren oder anderen originell umgebauten Transportfahrzeugen herumfahren und die meist aus Albanien stammenden Gastarbeiter, die in eigenen Gebäuden abseits untergebracht sind, beim Arbeiten überwachen.

Der Gottesdienst beginnt je nach Kloster unterschiedlich, um drei oder vier Uhr früh und dauert bis sieben oder acht Uhr. Danach wird ein ausgiebiges Frühstück mit individueller Zeiteinteilung eingenommen. Das nächste gemeinsame Gebet ist meist am späten Nachmittag, das zwischen eineinhalb und zwei Stunden dauern kann. Danach gibt es ein Abendessen, meist gemeinsam sehr rituell mit Tischlesung, gemeinsamen Beginn und gemeinsamen Ende. Oft sitzt man sehr gedrängt und in einem eigenen Teil der Trapeza. Diese Speisehallen sind innenarchitektonisch sehr ähnlich dem Kirchenraum und bilden in der Sitzordnung die Hierarchie des Klosters ab. Sie sind für den Klostergast die einzige Möglichkeit, die Mehrzahl der Mönche zu Gesicht zu bekommen. Gemeinsam zieht man nach vollbrachtem Abendgebet in hierarchischer Ordnung vom Katholikon in die Trapeza und nimmt auf dem zugewiesenen Tisch seinen Platz ein. Man achtet auf den gemeinsamen Beginn und das gemeinsame Ende der Essenszeit.

Die Bewegungsfreiheit des Klostergastes beschränkt sich auf den Gästetrakt und den Innenhof der Klosteranlage. Nach Sonnenuntergang werden die meist sehr schweren Eingangstore geschlossen, und man tut gut daran, auf diese Schließzeiten zu achten.


Warten

Als Klostergast am Heiligen Berg erlebe ich mich meist als Wartender.Warten bei der Einreise auf das Fährschiff. Angekommen im Hafen Dafni, warten wir auf die nächste Busverbindung oder Fährverbindung ins nächste Kloster. Im Kloster angekommen, warten wir auf die Quartier-Zuteilung. Warten auf den Gast-Mönch, die Begrüßungsgabe, ein Glas Wasser, Loukumi, Kaffee, oder manchmal auch Tsipouro, ein makedonischer Tresterbrand oder mit Anis gewürzt als Raki bekannt. Warten auf die nächste Gebetszeit, die Vesper, danach das Abendessen gemeinsam mit allen Mönchen in der Trapeza.
Für uns Nicht-Orthodoxe Nicht-Griechen bedeutet das ein Warten im Exonarthex wo wir die Liturgie hören und riechen, aber wenig davon sehen. Es herrscht ein Kommen und Gehen, nicht alle Mönche nehmen gleichzeitig und gleichförmig an den Zeremonien teil. Kreuzzeichen mit tiefen Verneigungen und ein ausführliches Küssen der Ikonen und heiligen Gegenstände findet statt. Die Gesänge schwellen an, werden lauter, verstummen wieder und heben wieder an, stärker zu werden. Ein Entspannungszustand setzt bei mir ein. Es gibt nichts zu verstehen, nichts zu sehen und nichts zu wissen. Das Ritual läuft ab und ich habe den Eindruck, dass die Liturgie durch die Mönche geschieht und nicht gemacht wird.


Sehr langes Warten

Bei unserem letzten Besuch in der großen Lavra, dem ersten Großkloster des berühmten Gründers Athanasios Athonites wurde sein Stiftungsfest gefeiert. Die zuerst angekündigte Dauer von eineinhalb Stunden wurde um das Doppelte überschritten. Köche und Bedienung in weißen Schürzen warteten vor dem Tor der Trapeza offensichtlich selbst überrascht über die lange Dauer der Liturgie. Gäste und Mönche standen und saßen auf dem Vorplatz des Katholikons unter der riesigen uralten Zypresse, die der Gründer selbst vor mehr als tausend Jahren gepflanzt haben soll.
Endlich erschienen die geladenen Äbte und Würdenträger nach geleisteten Wortritualen vor der Kirche. In unregelmäßigen Gruppen quollen die schwarz gekleideten, langbärtigen Männer aus dem Portal des Gotteshauses auf den Platz, wo dann eine dem Gründer geweihte Süßspeise gemeinsam verzehrt wurde. Sie war auf einer im Durchmesser etwa ein Meter großen runden Platte angerichtet, und bestand aus verschiedenfarbigen, gemahlenen Nüssen und Zucker, die ein Bild ergaben, welches beim Austeilen an die Gemeinde verwischt und vermischt wurde. Das Bild aus Nüssen und Zucker konnte ich beim Vorübertragen nur undeutlich erahnen. Es wurde schon in der Kirche umständlich in die Zeremonien einbezogen und jetzt unter langen Segenswünschen vor dem Abendessen an die Klostergemeinde verfüttert. Jedem der wollte, wurde ein Häufchen Nüsse mit Zucker in den aufgehaltenen Handteller gestreut und so zum Mund geführt und mit den Lippen von der Haut der gewölbten Innenhand geschleckt. So ist die Liturgie  zu Ehren des Gründervaters ein Erlebnis für Augen, Ohren, Nase, Lippen und Zunge.


Festliches Essen

Beim Einzug der großen Menschenmenge aus Priestern, Mönchen und Laien in die Trapeza waren wir westlichen, nichtorthodoxen Zivilisten die Letzten, die nach langem Warten zum Eingang drängten. Knapp vor uns wurde das Tor zum Speisesaal geschlossen und die Wartenden zurückgedrängt. ...

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